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„Individuelle Lösungen werden nicht ausreichen“

Geschrieben von Elisabeth Hussendörfer, Freie Journalistin // Veröffentlicht am 14.11.2024

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Sebastian Borchers, Leiter HR Transformation Deutschland

Continental geht neue Wege im Umgang mit der Transformation. Die berufliche Weiterbildung der Beschäftigten über ein konzerneigenes Institut ist nur einer davon. Sebastian Borchers über die neue ContiMotion GmbH für das Bauen von Brücken in Beschäftigung und „Drehscheibenmodelle“, die aus seiner Sicht immer wichtiger werden.

 

Herr Borchers, Ihre spontane Assoziation zum Stichwort „berufliche Weiterbildung“?

Berufliche Weiterbildung oder auch „Upskilling“ ist eine von zwei wichtigen Säulen im Bereich der Transformation.

Was ist die andere?

Beschäftigungsperspektiven schaffen. Manche Beschäftigte brauchen vielleicht gar keine zusätzlichen Skills, sondern einfach nur einen neuen Job. Wobei die Thematik in der Praxis komplex ist, die Übergänge sind fließend.

Aus der Politik hört man: Wir brauchen mehr Drehscheibenmodelle. Sehen Sie das auch so?

Neue und intelligente Ansätze für den Arbeitsmarkt werden durch die Tiefe der Transformationen und die Geschwindigkeit zwischen den Branchen immer wichtiger. Die Politik hat das erkannt und arbeitet an Konzepten – und die Unternehmensseite tut dies auch.

Was bedeutet das für Ihren Konzern?

2021 hat Continental zusammen mit einigen anderen Unternehmen, wie der Telekom und DHL, die Allianz der Chancen (AdC) https://allianz-der-chancen.de gegründet. Diese soll helfen, branchenübergreifende Lösungen zu entwerfen und umzusetzen. Wir brauchen schnelle und pragmatische Wege – Wege, die der Situation möglichst aller Beteiligten gerecht werden und die in unterschiedlichen Branchen und Unternehmensgrößen funktionieren.

Um beispielsweise dem Fehlen qualifizierter Arbeitskräfte zu begegnen?

Von Digitalisierung, Fachkräftemangel, Lieferkettenabhängigkeiten, über neue politische Weichenstellungen wie Dekarbonisierung bis zum Klimawandel: Es gibt keine Blaupause für den Umgang mit den großen neuen Herausforderungen unserer Zeit. Diese vielen Veränderungen müssen auch im Unternehmen aus den Personalbereichen professionell begleitet werden.

Etwa mit dem Continental Institut für Technologie und Transformation (CITT)?

Das wir 2019 gegründet haben, ja. Damals stellten wir uns die Frage: Wenn ich ins Werk gehe und einen Staplerfahrer frage „Wie sehen Sie sich morgen Ihre Arbeit machen?“ und der antwortet „keine Ahnung, ich warte mal ab, was so in der Zeitung steht“, dann wird doch mehr als deutlich, dass wir das nicht hinnehmen können.

Was ist die Lösung?

Transformationsprozesse besser gestalten, Beschäftigte frühzeitig auf Veränderungen vorbereiten. Dies geschieht im ersten Schritt durch gezielte Qualifizierung. Bisher konnten im CITT über 500 Beschäftigte einen Berufsabschluss nachholen oder einen neuen Abschluss ablegen.

Apropos „was in der Zeitung steht“: Ein großes Thema in diesen Tagen ist die Automobilindustrie…

Die Automobilindustrie befindet sich derzeit in einem herausfordernden Marktumfeld. Zahlreiche Arbeitsplätze sind durch die Transformation der Industrie von Veränderungen betroffen.

Und nun?

Eine wichtige Frage ist: Wie können wir Übergänge in neue Aufgaben in Unternehmen und auch zwischen Unternehmen gestalten, also Brücken in Beschäftigung schaffen? Wie schaffen wir Prozesse, von denen am Ende alle profitieren, beispielsweise durch Qualifizierung und Aufstieg? Schauen Sie, Logistik-Unternehmen suchen dringend Mitarbeitende. Oder nehmen wir das Thema Energiewende. Der Energiesektor sucht bundesweit 400.000 Beschäftigte. Dies sind Ansatzpunkte und Chancen in der Transformation, die wir mit den Arbeitsagenturen, Gewerkschaften und Sozialpartnern gestalten und nutzen möchten. Wir brauchen stabile Netzwerke aus Partnern, müssen Prozesse und Konzepte für Drehscheiben gemeinsam entwickeln und erproben.  

Mit der neu gegründeten Allianz der Chancen meinen Sie?

Genau – wobei wir auch hier schon einige Zeit gemeinsam an Themen arbeiten. Angefangen hat das Ganze mit sehr viel persönlichem Engagement und konzernübergreifenden  Gesprächen. Aus der Handvoll Menschen, die damals schon sehr visionär unterwegs waren, ist mittlerweile eine dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft mit rund 70 Partnern geworden, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind davon überzeugt, dass gesellschaftliche Umbrüche nur dann funktionieren, wenn man möglichst alle mitnimmt. Die Allianz der Chancen will dabei helfen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und stattdessen die Chancen des Wandels zu nutzen.

Das klingt vielversprechend.

Ja, wir haben gemeinsam auch viele praktische Erfolge erzielt! Wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, ist die Transformation aber sicher noch nicht abgeschlossen.

Drehscheibe – das klingt ohnehin sehr groß, komplex…

Und gleichzeitig ist es oft ein sehr regionales Thema. Wir brauchen neben den großen Konzepten auch die ganz praktische Umsetzung vor Ort. Wir müssen Beschäftigte in den Betrieben erreichen, brauchen Plattformen, die Prozesse organisieren und ein „Matching“ vornehmen. Das ist viel Personalarbeit und benötigt Kommunikation an Ort und Stelle. Auch sind alle regionalen Situationen anders und müssen daher immer unterschiedlich geplant werden. Dazu haben wir als Continental die ContiMotion GmbH gegründet. Diese unterstützt die genannten Prozesse und wird auch von Gewerkschaftsseite unterstützt. Ein wichtiger Punkt, um Mitarbeitende zu überzeugen und Vertrauen aufzubauen, sind faire Bedingungen!

Können Sie etwas zum unterschiedlichen Vorgehen je nach Region sagen?

In der Allianz der Chancen konzipieren wir aktuell vier Drehscheiben in verschiedenen Regionen in Deutschland. In allen haben sich Partner zusammengefunden, die gemeinsam gestalten möchten – immer auch unter Begleitung der Bundesagentur für Arbeit. Wir hoffen, in den nächsten Monaten auch noch mehr kleine und mittlere Unternehmen einbinden zu können. Diese können sich durch die regionale Ausrichtung oft einfacher beteiligen. Ein Beispiel ist die Drehscheibe in Südost-Niedersachsen, wo auch unser Standort Gifhorn liegt.

Wie kann man sich das Geschehen um diese Drehscheibe konkret vorstellen?

Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit Stiebel Eltron, die eine Wärmeproduktion aufbauen und Teile des Standortes übernehmen möchten. Durch die enge Kooperation entwickeln sich neue berufliche Perspektiven für Teile der Belegschaft.

Die Leute müssen dafür vermutlich umfassend umgeschult werden?

Nicht zwangsläufig. Einige Funktionen wie im Facility Management, der Kantine und auch im kaufmännischen Bereich werden sich inhaltlich nicht stark verändern müssen. Ein Beispiel ist ein Gabelstaplerfahrer, der künftig vielleicht einfach andere Komponenten fährt. In der Produktion werden sich Maschinen und Tätigkeiten hingegen vollständig ändern. Da muss sicher auch neu angelernt und qualifiziert werden. Ziel ist, den Übergang so einfach wie möglich zu gestalten. Dieses Konzept hilft übrigens nicht nur den Mitarbeitenden.

Sondern?

Für die Region ist es ein großer Vorteil, dass Industriearbeitsplätze sowie Produktionsstandorte erhalten bleiben und Flächen und Gebäude weiter genutzt werden können.

Sprechen wir über die Mitarbeitenden, denen bestimmte Skills fehlen – die also nicht bei ihren bisherigen Tätigkeiten bleiben können.

Das ist natürlich möglich, daher sind wir immer im Austausch mit unseren Partnerunternehmen, um gemeinsam gute Lösungen zu finden. Wenn Partnerunternehmen beispielsweise bestimmte Berufsabschlüsse fordern, bilden wir diese aus. Mit unserem CITT qualifizieren wir aktuell eine ganze Gruppe von Mitarbeitenden zu Elektrikern. Die werden in der Region gesucht.

Sind wir jetzt beim Thema klassische Weiterbildung?

Klassische Weiterbildung ist ein Weg. Aber unsere Beschäftigten holen auch ganze Berufsabschlüsse nach. Gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern (IHK) gehen wir den Weg der Teilqualifizierung: Die Mitarbeitenden dürfen sozusagen „in Vollzeit lernen“. Dabei bekommen Sie ihr bisheriges Tarifentgelt weiterbezahlt, auch unter Nutzung von Förderprogrammen der Bundesagentur für Arbeit. Mit der Qualifizierung haben sich die Beschäftigten dann oft eine neue Perspektive und Chance erarbeitet.

Eine Perspektive für?

Am Beispiel Gifhorn für einen möglichen Wechsel in andere Betriebe. Allgemein können viele Beschäftigte schon in ihrer Tätigkeit für neue Anforderungen vorbereitet werden. So haben wir auch einige Angebote zum Arbeiten mit Daten oder zu KI-Themen, die wir aktuell ausbauen. Da starten die Qualifizierungen bei wenigen Tagen und das Wissen wird in fast allen Funktionen im Betrieb schon heute benötigt.

Sind Daten- und KI-Themen Schwerpunkte?

Ja, generell gibt es in der Qualifizierung einen Paradigmenwechsel. Da wird weniger geschaut: Was habe ich als Unternehmen in x Jahren für konkrete Stellenbedarfe? Sondern stattdessen: Welche Technologien benötigen wir für die Zukunft? Wie machen wir die Belegschaft in der Breite fit und wie viele Experten benötigen wir in den Themen? Unser CITT ist mittlerweile mit 14 Schulungsstandorten in ganz Deutschland vertreten. Von den nachgeholten Berufsabschlüssen und neuen Abschlüssen hatten wir es ja schon. Insgesamt haben wir bereits mehr als 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer qualifiziert.

Für ein Weiterkommen im eigenen Konzern?

Gestartet sind wir mit internen Bedarfen bei Continental, inzwischen qualifizieren wir aber auch für viele Partner. Das CITT ist ein förderfähiger Bildungsträger, konzipiert Programme, kümmert sich um Administration und schult in eigenen Räumen und Werkstätten. Seit 2022 ist das Institut auch Träger und Projektsteller einiger Förderprojekte des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, in deren Rahmen passgenaue Angebote und Projekte mit und für Partner vor Ort entwickelt werden.

Macht so etwas nicht Schule?

Das Konzept stößt auf breites Interesse. Das gilt auch für „Beschäftigungsperspektiven und Fachkräftelösungen“, die zweite Säule der Transformation, die wir jetzt wie gesagt neben der Qualifikation im CITT mit ContiMotion vermehrt angehen.

Das Prinzip „Von Arbeit in Arbeit“ meinen Sie?

Genau, wir schließen aktuell viele Partnerschaften und Kooperationen.

Auch hier wieder: Mit anderen Unternehmen?

Zum einen mit Unternehmen unterschiedlicher Art und Größe, zum anderen zeigt sich auch die Politik interessiert an praktischen Lösungen für „Brücken in Beschäftigung“. Wir brauchen professionell gebaute Plattformen, nur so können wir die tiefgreifenden Veränderungen bewältigen, gemeinsam mit allen Partnern und Branchen.

Fassen Sie bitte noch einmal zusammen: Was braucht der Standort Deutschland?

Um Beschäftigung und Wachstum nachhaltig zu sichern? In der HR-Transformation brauchen wir kluge Werkzeuge, um Übergänge zu gestalten. Und das ist die gute Nachricht: Diese Instrumente gibt es schon heute, und sie wirken nachweislich. Mit anderen Worten: Der Weg ist eingeschlagen. Jetzt gilt es, ihn weiterzugehen und weiter auszubauen.


Info:

Wofür steht die Allianz der Chancen? In der „Charta für Transformation mit Perspektiven“ (siehe https://allianz-der-chancen.de) zeigt die Allianz ihre Ideen für neue Beschäftigungsperspektiven und gesellschaftlichen Zusammenhalt auf. Proaktiv, praxisnah, kooperativ und sozial nachhaltig – das sind die Prinzipien der Allianz der Chancen.

Contimotion GmbH: www.ContiMotion.de

Continental Institut für Technologie und Transformation: continental-institut.de

 

„Ich bin froh, dass ich dazu beitragen kann, dass hier weiter produziert wird“ – Industriemechaniker über Qualifizierungsmaßnahme

Früher Bremsenproduktion, heute Aufbau und Inbetriebnahme von Autonomen Mobilen Robotern

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Michael Sterger, AMR Manufacturig am Continental-Standort Rheinböllen

„Bei uns an der Anlage wurde immer mehr Elektrik verbaut. Mit Schaltplänen hatte ich jedoch nie viel zu tun…

Die drei Monate am CITT* waren intensiv. Aber wir hatten tolle Trainer. Außerdem kannte ich das Umfeld, die Räume, die Gegebenheiten. Mit dem Vertrauen meines Arbeitgebers im Rücken konnte ich Neuland betreten, ohne das Gefühl zu haben, ins kalte Wasser geworfen zu sein.

Mein neuer Arbeitsplatz ist immer noch in der gleichen Halle. Die Arbeit wächst mit jedem Tag weiter – die Dynamik gefällt mir. Die Zeiten ändern sich, aber das sollte uns nicht schrecken.“

*Continental Institut für Technologie und Transformation (www.continental-institut.de)