Sie bedienen etwas, was es nach Ihrer Aussage so sonst noch nicht gibt: Die Schnittstelle zwischen Gaming und Human Resources (HR). Gaming - das dürfte viele erst mal innehalten lassen…
Ich weiß, was Sie meinen. Aber Gaming und Esports sind weit mehr als reine Daddelei.
Nämlich?
Ein Zugang zu wertvollen Einsichten in berufsrelevante Fähigkeiten und Verhaltensweisen. In Zeiten von hybrider Arbeit, von KI und Matchmaking, sollten wir uns dieses globale Phänomen zu Nutze machen. Generell gilt: Je digitaler und MINT-lastiger ein Unternehmen, desto mehr Gamer werden Sie unter den Mitarbeitenden finden. Von der Generation Alpha, die gerade dabei ist, in den Arbeitsmarkt einzusteigen beziehungsweise dies demnächst tun wird, ganz zu schweigen.
Was meinen Sie?
94 Prozent in dieser Generation gamen (Newzoo, 2023). Aber deren besonderen Fähigkeiten werden bislang zu wenig ernst genommen.
Weil die Generation Alpha bislang insgesamt eben doch nur einen vergleichsweise kleinen Teil ausmacht?
Moment, auch bei den Boomern beschreiben sich immerhin noch 47 % als „Gaming Enthusiast:innen“. Der Altersdurchschnitt der Gamer lag 2022 bei 37,6 Jahren. Wichtig: Wir reden hier keineswegs nur von kompetitiven Videospieler:innen, so genannten Esportler:innen. Auch, wer sich gelegentlich bei Mario Kart, Solitaire oder Candy Crush wiederfindet, gilt verschiedenen Erhebungen zufolge (Verband der deutschen Games-Branche, https://www.game.de/marktdaten/) als Gamer. Es stimmt natürlich: je jünger, desto mehr Gamer…
Klingt nach einem Aber?
Salopp gesagt: Die Demografie-Glocke dreht sich um und können wir davon ausgehen: In der Zukunft wird sich die Anzahl der Gamer immer weiter den 100 % annähern. Nochmal: Dieses Potenzial sollten wir nicht ungenutzt lassen. Holen wir die Zielgruppe da ab, wo sie zu Hause ist, sagen wir immer.
Von welchem Potenzial sprechen Sie genau?
Der Begriff „metagame“ kommt ursprünglich aus der Spieltheorie. Er beschreibt sämtliche ungeschriebenen Regeln, die über das eigentliche Spiel hinausgehen. Ständige Veränderungen durch Updates und neue Strategien zwingen, sich in einem schnelllebigen Umfeld anzupassen – beispielsweise durch permanentes Lernen und Kollaboration. Wir sind davon überzeugt, dass es genau diese Skills sind, die Unternehmen brauchen, um die Herausforderungen rund um die Digitalisierung und den demografischen Wandel in Zeiten des Arbeitskräftemangels zu meistern.
Was ist das Geheimnis? Geht es darum, während des Spielens bestimmte Verhaltensweisen zu erkennen?
Genau das ist der Hintergedanke. Wie geht jemand bei „League of Legends“ oder „Rocket League“ rein? Intuitiv? Analytisch? Wie steht es um die Resilienz des einzelnen? Um die Teamfähigkeit? Und was ist mit der Kommunikation, welchem Muster folgt die? Wir kombinieren Datensammlung und -analyse, um präzise Empfehlungen zu geben und den Kundennutzen zu steigern. metagame steht nicht nur für die Verbindung von Gaming und beruflichen Möglichkeiten, sondern repräsentiert auch einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie Unternehmen Talente identifizieren, entwickeln und an sich binden.
Talente im Spiel, wohlgemerkt…
Die Korrelation zwischen der In-Game-Persönlichkeit und der am Arbeitsplatz – so glauben wir - ist hoch. Anhand des stetig wachsenden Datenschatzes wollen wir das empirisch erheben und validieren. Das ist insbesondere das Kerngebiet meines Mitgründers Prof. Dr. Tobias Scholz, der an der University of Agder, Norwegen, zu „Acadamic Esport“ forscht.
Was kann Gaming in Bezug aufs Thema Weiterbildung leisten?
Gerade hier sehen wir mit Blick auf die In-Game-Persönlichkeit enorme Potentiale. Für die Mitarbeitenden selbst geschieht die persönliche Skillanalyse spielerisch – und dabei doch oft messerscharf. Auch Unternehmen können erkennen, wenn bestimmte Fähigkeitsausprägungen geradezu nach einem gezielten Upskilling schreien. Die Unternehmenskultur ist in diesem Zusammenhang sicher ein wichtiges Stichwort. Schaue Sie, die meisten großen Firmen haben Förderprogramme für so genannte „High Potentials“, aber es wird kaum hinterfragt, warum jemand nicht high performt. Ob er möglicherweise schlicht nicht die richtigen Aufgaben bekommt oder gar im falschen Team angesiedelt ist.
Sie meinen, der Mitarbeitende ist vielleicht am falschen Platz?
Möglicherweise, ja. Aber er muss deswegen keineswegs am falschen Ort - sprich: im falschen Unternehmen - sein. Oft ist schon viel gewonnen, wenn beispielsweise das Miteinander der Generationen integrativer gestaltet wird. In beide Richtungen übrigens. Da ist dann vielleicht die Führungskraft, die auf den jungen Mitarbeitenden zugeht und sagt: „Das Tool überfordert mich. Kannst du mir das erklären?“ Klar, wer mit CHatGPT aufwächst, baut die Nutzung des Tools nun mal viel selbstverständlicher in Abläufe ein als jemand, der über die Jahre eine andere Arbeitsweise gewohnt ist.
Legen Sie beim Gamen Wert auf gemischte Teams?
Absolut, wenn Talente aus unterschiedlichen Bereichen zusammenkommen und sich besser kennenlernen, ergeben sich besonders spannende Ergebnisse. Silos werden auf natürliche Weise aufgebrochen. Die Awareness, die da entsteht, ist wirklich beeindruckend. Jemand, der das Unternehmen eigentlich verlassen wollte, sieht vielleicht, wo er eigentlich richtig wäre - und dann kommen teils überraschende neue Matches zustande.
Wie setzen Unternehmen Ihr Angebot zum jetzigen Stand ein
Unterschiedlich. Den einen geht es erst mal darum, im Rahmen von Events Erlebnisse zu schaffen, aus denen vielleicht ein anderes Mindset mitgenommen wird, beispielsweise bei einem Sommerfest. Es gibt aber auch Firmen, die nutzen das Spielen ganzheitlich, als Teil der Unternehmenskultur.
Und wie kann man sich das vorstellen?
Wir bauen eine Community aus den Mitarbeitenden auf, die zusammen spielen. Eines unserer beliebtesten Formate ist ein kurzweiliges Turnier, die „Community Brawls“: Zwei Gruppen à vier Teams, also acht beteiligte Firmen, verabreden sich einmal monatlich. Ein bisschen so wie vor 50 Jahren zum Stammtisch vielleicht.
Oder wie heute zum klassische Betriebssport? Ist das vergleichbar?
Jein. Durch eine glaubhafte Integration ins Unternehmen, etwa durch das Gründen einer Betriebssportabteilung, kann Gaming ein nachhaltiger Bestandteil der Unternehmenskultur werden. Generell ist Gaming zwar mit Sicherheit kein Allheilmittel, doch nochmal: Als zusätzliches Werkzeug im HR-Bereich kann es sehr viel mehr sein als die gelegentliche nette „Daddelei“ unter Mitarbeitenden. Dass wir an dieser Schnittstelle auf wissenschaftlicher Basis noch vollständig alleine am Markt sind, ist schwer zu verstehen.
Haben Sie dennoch eine Erklärung?
Vielfach dürften es Vorurteile sein, die bremsen. Schiebt das nicht in die hässliche Ecke, sage ich immer. In eine Ecke, die schon lange nicht mehr Teil unserer Kultur und Gesellschaft ist. Wir reden hier nicht über das dicke Kind, das im Keller sitzt und keine Freunde hat. Am Rande: In mir selbst schlägt ein großes, kompetitives Herz. Ich habe 23 Jahre lang professionell Handball gespielt.
Spannende Fakten zum Weiterlesen:
1 Forschende der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im Berliner St. Hedwig-Krankenhaus fanden in einer Hirnstrukturstudie zu Computerspielen heraus, dass moderate Vielspieler – wohlgemerkt keine Spielsüchtigen – nicht nur über mehr lokales Hirnvolumen, sondern außerdem auch über mehr Hirnrinde verfügen.
(Quelle: https://www.nature.com/articles/tp201153)
2 Eine Studie der Universität Oxford fand heraus, dass Videospiele positive Effekte auf unsere Psyche haben können. Die Forschenden fanden heraus, dass Spieler von „Nintendos Animal Crossing“ und „EAs Plants vs. Zombies“ ein gesteigertes Glücksgefühl erleben und dass die Spiele Stress reduzieren können.
(Quelle: https://www.bbc.com/news/technology-54954622)