„Und dann schwimmen die „neuen Fische“ in den großen Teich“
Geschrieben von Elisabeth Hussendörfer, Freie Journalistin // Veröffentlicht am 25.10.2024
Geschrieben von Elisabeth Hussendörfer, Freie Journalistin // Veröffentlicht am 25.10.2024
Als Weiterbildungsunternehmen bieten Sie vor allem Quereinsteigenden Support beim Umstieg in IT- und Tech-Berufe. Wie kam es dazu?
Vor meiner Gründung habe ich gemeinsam mit einem amerikanischen Investment-Fonds den Aufbau des Geschäftsbereichs „Bildung“ beim Medien- und Service Konzern Bertelsmann vorangetrieben. Schon damals konnte ich in den USA Innovationen im Bildungsbereich erkennen, die auch für Deutschland interessant sein konnten.
Lohnt denn der Blick über den Teich im Bildungs-Kontext?
Unbedingt. Schon damals, 2012, war der Bildungsbereich in den USA viel stärker digitalisiert als in Deutschland. Da gab es bereits große Online-Universitäten, aber auch Dienstleister, die traditionellen Universitäten dabei halfen, ihre Programme auch digital anzubieten. Besonders begeistert haben mich aber die Technology Bootcamps, die ganz konkret den Fachkräftemangel in der IT adressierten und die quasi aus der Not heraus ins Leben gerufen worden waren.
Aus welcher Not?
Aus der Not vieler Start-Ups, die für ihr schnelles Wachstum auch genügend und fachlich passend ausgebildete Fachkräfte benötigten. Generell ist das Konzept vom Quereinsteigen in den USA seit jeher gelebter und akzeptierter – warum dann nicht Quereinsteiger mit IT-Kompetenzen ausstatten? Das Konzept hat mich jedenfalls nicht mehr losgelassen.
Was genau fanden Sie beeindruckend?
Zum Beispiel, wie hervorragend die Menschen in den oft sehr diversen Teams gelernt haben. Leute mit den verschiedensten Bildungshintergründen – mit und ohne Berufserfahrung. Der Geisteswissenschaftler mit dem Uni-Abschluss neben dem Armee-Veteranen, der noch nie etwas mit Tech zu tun hatte etwa. In 12 bis 16 Wochen wurden Teilnehmende für die neuen Aufgaben fit gemacht. Am Ende konnten sie berufseinstiegsfähig programmieren und hatten vor allem auch verstanden, wie diese Fähigkeit in der Praxis und im Team angewendet wird. Unter den Teilnehmenden waren übrigens viele Frauen - ungewöhnlich für die IT. Und: die Absolventen dieser Bootcamps waren bei den Unternehmen auch ohne anerkanntem Abschluss heiß begehrt. Ein toller Erfolg – für den einzelnen wie für die amerikanische Wirtschaft.
Ist das Programmieren in den Bootcamps ein Schwerpunkt?
Tatsächlich waren die ersten Camps gezielt auf die Ausbildung von Web- und Softwareentwicklern ausgerichtet, ja. Schnell kamen aber andere Bereiche dazu wie zum Beispiel Data Analytics, Data Science, Cloud Computing und vieles mehr. Viele US-Camps haben klein angefangen, mit ein bis zwei Programmen. Inzwischen haben sie viele, viele Programme im Angebot, die sich nach den Bedarfen des Arbeitsmarktes richten, und sich zu großen Schulen gemausert.
Zu IT-Schulen sozusagen?
Teils ja, aber nicht nur. Letzten Endes können mit dem Lern-konzept auch IT-Projektmanager, Marketing-Analysten und UX/Ui Designer ausgebildet werden – also Berufe, die ganz klar über den reinen IT-Bereich hinaus gehen und ebenfalls eine wachsende Nachfrage seitens der Unternehmen erfahren.
Sprechen Sie hier auch über die Situation außerhalb der USA?
In Deutschland ist das Thema sogar noch relevanter, weil aufgrund der Altersstruktur Fachkräfte wegfallen und weniger neue Arbeitskräfte hinzukommen. Gleichzeitig ändern sich die Anforderung im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung sehr schnell und wir haben deutlichen Nachholbedarf. Wohl jedem dürfte klar sein, dass der klassische Weg der Qualifikation mit Schule und Ausbildung oder Studium hierzulande an seine Grenzen gekommen ist. Wir müssen das Thema lebenslanges Lernen systematisch in unsere Bildungslandschaft integrieren.
Das betonen Sie…
Ja, weil ich in dieser Hinsicht in Deutschland lange kaum neue und gute Angebote gesehen habe. Besonders aufgefallen ist mir das in den Jahren 2012 bis 2018, also in den Jahren vor meiner Gründung von „neue fische“. Das sind sechs lange Jahre, in denen sich der IT-Fachkräftemangel in der immer weiter ausweitete, aber niemand wirklich eine Lösung präsentierte.
Was meinen Sie, warum war das so?
Vermutlich war der Druck im deutschen IT-Arbeitsmarkt einfach noch nicht hoch genug. Tatsächlich haben wir hierzulande ja ein Vorzeigemodell in Sachen Bildung: Schule, Ausbildung, Uni – und alles mehr oder weniger aus staatlicher Hand. Aber das reicht inzwischen nicht mehr, denn die berufsspezifischen Anforderungen ändern sich schnell. Wir brauchen eine dritte Säule – quasi die letzte Meile zum Job. Allerdings wandelt sich das Verständnis dafür recht langsam.
Auch hier wieder die Frage: Woran könnte das liegen?
Deutschland ist historisch bedingt ein abschlussgetriebenes Land. Dabei ist Anschluss - an den Job - inzwischen mindestens genauso wichtig wie Abschluss. Ich bin überzeugt: Würden wir stärker in Richtung Anschluss denken, hätten wir bessere Antworten auf den Fachkräftemangel.
Wo liegt, kurzgefasst, die Lösung?
In Kooperationen zwischen Politik, Wirtschaft und Bildungsanbietern aller Art. Es muss und kann nicht Aufgabe der Schulen und Universitäten sein, auf konkrete insbesondere technische Anforderungen des Arbeitsmarktes zu trainieren. Dafür ändern diese sich gerade im technischen Bereich zu schnell. Und kein Mensch will mit 25 oder 30 oder 40 noch mal für längere Zeit die Schulbank drücken. Aber das braucht es auch gar nicht.
Sondern?
Schulen und Unis müssen junge Menschen stärker darauf vorbereiten, wie man lernt. Neben dem Fachlichen müssen junge Menschen die Fähigkeit aufbauen, in logischen Abfolgen zu denken – wie komme ich in wenigen Schritten von einem Problem zu einer Lösung? Diese algorithmischen Kompetenzen sind wichtig, um immer anschlussfähig zu bleiben. In den USA ist es längst üblich, von der „letzten Meile zum Job“ zu sprechen – und genau hier greifen innovative Bildungsanbieter wie „neue fische“ ein. Wir machen sozusagen neue Fische für den leergefischten Personalteich. Das, was an Bildung und Erfahrung da ist, bleibt dabei erhalten. Um auf einen neuen Job zu passen oder den bisherigen Job auch mithilfe von neuen Tools und Technologien besser zu machen, fügen wir nur etwas dazu. Und die neuen, kleinen Fische schwimmen dann in den großen Teich und in eine neue Zukunft.
Klingt ein bisschen, als wollten Sie den Leuten Ängste nehmen?
Lebenslanges Lernen - zugegeben, das klingt erst mal gewaltig. Bedrohlich. Aber wenn wir den ersten, ganz natürlichen Impuls, der schlicht aus der tief liegenden menschlichen Angst vor Veränderung herrührt, beiseiteschieben, ergibt sich ein anderes Bild. McKinsey hat dazu eine wie ich finde inspirierende, motivierende Studie gemacht https://www.mckinsey.com/capabilities/people-and-organizational-performance/our-insights/overcoming-the-fear-factor-in-hiring-tech-talent#/.
Erzählen Sie.
Vereinfacht: Jeder erwirbt im Laufe seines Lebens ein Set von Kompetenzen. Strebt man nun ein neues Tätigkeitsfeld an, sind die bisher erworbenen Kompetenzen keinesfalls hinfällig. Für den Anschluss in das Neue braucht vielleicht nur fünf bis sechs bislang fehlende Skills - und die lassen sich in kurzer Zeit trainieren. Am Ende hat man einen sowieso schon wertvollen Mitarbeiter - Stichwort Erfahrung, Stichwort Kenntnisse der Unternehmenskultur - der nochmal ein Stück wertvoller geworden ist. Mach das nicht Sinn?
Was sagen Sie?
Absolut und mit Blick auf den demographischen Wandel noch viel mehr. Viele Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass sie von außen gar nicht so viele Talente reinholen können, wie sie bräuchten. Da sollte es doch naheliegend sein, das vorhandene Potenzial der bestehenden Mitarbeitenden zu nutzen. So hält man das Know-How im Unternehmen und schafft gleichzeitig Perspektiven für seine Mitarbeitenden. Das funktioniert natürlich nicht für alle Menschen. Aber für mehr, als man denkt. Und es lohnt sich auch finanziell.
Woher wissen Sie Letzteres?
In zahlreichen Fällen haben wir das schwarz auf weiß. Einmal haben wir zum Beispiel 15 Ingenieure aus dem Bereich Automotive sieben Monate lang berufsbegleitend gecoacht. Ihre Skills reichten nicht mehr aus, denn auch das Auto wird immer softwarelastiger. Eine mögliche Freistellung stand bereits im Raum. Letzen Endes konnte diesen Menschen an ihrem Arbeitsplatz bleiben.
Und das kam für das Unternehmen günstiger?
Um ein Vielfaches. Es gab keine Aufhebungsverträge, keine Abfindungen, keine Stellenneubesetzungen – alles Dinge, die Geld kosten. Wenn man die Trainingskosten dagegensetzt, stellt man fest: Das ist unterm Strich die deutlich lukrativere Variante. Und auch eine gesellschaftlich tragfähigere. Zumal es Förderungsmöglichkeiten gibt.
Welche?
Durch das Qualifizierungschancengesetz (QCG) werden Lohn- und Weiterbildungskosten ganz oder in Teilen übernommen. Je nach Betriebsgröße variiert die Höhe der staatlichen Unterstützung – bei kleinen Unternehmen kann die Förderquote bei 100%, bei Großkonzerne bei 25% liegen. Zusätzlich gibt es seit diesem Jahr das so genannte Qualifizierungsgeld, wenn bis zu 20 % der Belegschaft von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
Gibt es noch andere Vorteile?
Ja, die neuen Skills kamen viel schneller zum Einsatz, schließlich wussten die Menschen bereits, wo die neuen Skills anwenden konnten. Auch lästiges Onboarden entfiel: Die 15 Ingenieure kannte man. Die Unternehmenskultur war ihnen hinlänglich bekannt, sie passten ins Team. 15 Menschen von außen hätten zum Teil von vorne anfangen müssen. Und wer sagt, dass die Neuen nach drei Jahren nicht schon wieder weg sind? Dann würde die Suche von vorne losgehen…
Die neue fische – School and Pool for Digital Talent gibt es seit 2018. Wie gelingt mit Ihrer Unterstützung die „letzte Meile im Job“?
Wir haben viel Zeit in unser Lernkonzept gesteckt und Inhalte und Didaktik weiterentwickelt. Eine Sache, die uns sicher besonders macht, ist, dass wir das Erlernte für alle Beteiligten – für Absolventen wie Unternehmen also - anfassbar machen. Die angeschobenen Prozesse dürfen keine Theorie bleiben, müssen wirklich verstanden und umgesetzt werden können.
Was bedeutet das: das Erlernte wird anfassbar?
Wer bei uns abschließt, erstellt und präsentiert ein digitales Gesellenstück. Ein Produkt, das man sich genauso anschauen kann wie beispielsweise beim Schreinergesellen den Schrank. Wer sowas sieht, weiß dann zum Beispiel: Aha, da hat einer nicht nur ein Kompetenzfach wie Webentwicklung oder Data Science kennen gelernt. Theoretisch. Da wurde auch etwas umgesetzt. In Form einer Web-Anwendung, einer App. Die ersten Abschlussveranstaltungen haben wir richtiggehend zelebriert. Da gab es Ausstellungen, bei denen die Absolventen den eingeladenen Unternehmen an Ständen mit aufgeklappten Laptops ihre Gesellenstücke präsentierten. Künstler mit Werk sozusagen.
Kommen interessierte Mitarbeitende eigeninitiativ auf Sie zu oder sind es eher die Unternehmen, die die Initiative ergreifen?
Es gibt beides. Angefangen haben wir vor allem mit individuellen Menschen, die – ganz im Sinne des New Work Gedanken – eine berufliche Veränderung suchten. Parallel dazu haben wir aber recht bald begonnen, Mitarbeitende großer Unternehmen zu schulen und dann sogar maßgeschneidert Programme für Unternehmen zu entwickeln. Je nach Skill-Gap, den es zu überbrücken gilt, dauern unsere Programme drei, sechs oder 12 Monate. Mal in Vollzeit, mal berufsbegleitend. Gut strukturiert. Aber immer auch sehr intensiv.
Sehr intensiv… ob das den ein oder anderen nicht abschreckt?
Eine gute Motivation setzen wir voraus. Ganz generell warnen wir die Teilnehmenden gleich in der ersten Stunde vor dem Hänger, der kommen wird. Beim einen früher, beim anderen später, aber er kommt - bei jedem. Ist ja auch Teil der typischen „Change-Kurve“. Es tut gut, dann zu wissen, dass noch etwas fast sowas wie ein Gesetz ist: Nach dem Durchschreiten der Talsohle geht es weiter.
Info:
neue fische – School and Pool for Digital Talent wurde 2018 von Bildungsexpertin Dalia Das in Hamburg gegründet und hat sich zum bundesweiten Marktführer im Bereich Tech- und Coding-Bootcamps entwickelt. Seit 2022 gehört auch die in Berlin ansässige SPICED Academy zum Unternehmen. Gemeinsam bildet das über 100-köpfige Team Absolvent*innen, Quereinsteiger*innen, Studienabbrecher*innen und Berufsrückkehrer*innen zu Expert*innen in den Bereichen Softwareentwicklung, Datenanalyse und Cloud-Technologie aus. Der innovative Bildungsanbieter hilft auch dabei, IT-Kompetenzen bei Mitarbeitenden aufzubauen. neue fische und die SPICED Academy setzen sich darüber hinaus für Diversität in Tech-Berufen ein und gehören inzwischen zur Future Group, Europas größter Bildungs- und Talentplattform für IT-Berufe.
„Ich studiere, dann arbeite ich als Psychologin – so dachte ich. Aber mit dem wachsenden Wunsch, in die Wirtschaft zu gehen, merkte ich, dass ich an Grenzen stoße, wenn ich für mein Weiterkommen allein auf Support aus der Wissenschaft setze, die in mancher Hinsicht eine „Bubble“ ist. Die „neuen fische“ waren hier eine super Lösung. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich in kürzester Zeit in ein Gebiet einarbeiten kann. Am Ende war der Sprung dann gar nicht so groß wie befürchtet. Andererseits: Ohne ihn wäre ich heute sicher nicht da, wo ich bin.
„Stellen passgenau zu besetzen – das ist ein bisschen wie das perfekte Puzzleteil zu finden und fürs Puzzeln wird unter anderem auch das Thema Quereinstieg branchenübergreifend an Bedeutung gewinnen. Inzwischen konnten wir schon mehrfach Stellen über „neue fische“ besetzen. Dabei haben wir nicht nur fachliche Treffer gelandet. Auffallend ist die hohe Motivation der Bewerber, gepaart mit der Bereitschaft, Altes ein Stück weit hinter sich zu lassen. Davon profitieren wir.